Lesetipp: fünf Romane für den Sommer

Neulich im Gespräch über Romane, die im Ruhrgebiet, meiner alten Heimat, spielen, kamen wir auf einen, wie ich finde, klassischen Ruhrgebietsroman zu sprechen, der meiner Gesprächspartnerin überhaupt nichts sagte. Nicht immer muss es ein aktuelles Buch sein, das unsere Aufmerksamkeit verdient. Und so kam ich auf die Idee für diesen Blog drei schon etwas ältere und zwei aktuelle Bücher zusammenzustellen, die ich als Sommerlektüre empfehlen kann.

Der Markisenmann

Jan Weiler
Der Markisenmann
336 Seiten
Erschienen am: 21.03.2022
Verlag: Heyne
EUR 13,00 [DE]
Link zum Verlag

Zum Inhalt:

Kim, eine verwöhnte Teenagerin, wird von ihren Eltern für die Ferien zu ihrem leiblichen Vater an den Rand von Duisburg geschickt. Dort lernt sie in einer provisorischen Unterkunft die andere Seite des Lebens kennen. Der Vater versucht günstig aus der Auflösung eines DDR-Lagers erworbene Markisen im Umkreis zu verkaufen. Durch Erfindungen möchte er neue Einnahmequellen erschließen. Unbeholfen wissen beide Anfangs nichts miteinander anzufangen. Je mehr Kim aber Einblicke in die Arbeit ihres Vaters und das Lebensumfeld erhält, desto mehr kommen sich die beiden näher.

Wem und warum ich dieses Buch empfehle:

Der Roman ist eine wunderbare Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes. Ich bin kein Fan von Jan Weiler, aber die Art wie sich Vater und Tochter mit der Zeit einander annähern und bereichern, hat mich berührt. In vielen kleinen Szenen wird die Stimmung eines Lebens am Rande des Ruhrgebiets eingefangen. Dies wird gepaart mit einem Schwung Ostalgie. Eine leichte Lektüre, die einfach wie für den Sommer geschaffen ist.

Das Liebespaar des Jahrhunderts

Julia Schoch
Das Liebespaar des Jahrhunderts
192 Seiten
Erscheinungsdatum: 09.01.2025
dtv Verlag
EUR 13,00 [DE]
Link zum Verlag

Zum Inhalt

Der Roman von Julia Schoch ist der zweite Teil der Trilogie „Biographie einer Frau“. Mit dem sehr einprägsamen Titel war mir „Wild nach einem Wilden Traum“ (der dritte Teil der Trilogie) in letzter Zeit öfter auf dem Büchertisch aufgefallen. Nicht ganz so wild entschied ich mich zunächst mit der Lektüre „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ zu beginnen.
Julia Schoch wurde Mitte der 1970er Jahre in Bad Saarow geboren. Wie ihre Protagonistin, die Ich-Erzählerin des Romans, kennt sie das Aufwachsen in der DDR und hat die Wiedervereinigung mit ihren Umbrüchen noch bewusst erlebt. Der Roman beginnt mit der schlichten Feststellung „Ich verlasse dich.“ – drei Worte am Ende einer Beziehung. Am Anfang steht euphorische Verliebtheit, die selbst Unterschiede nicht erkennen will.

Eine lange Zeit sah ich selbst dort Ähnlichkeiten, wo es gar keine gab. So dachte ich zum Beispiel, unsere Väter hätten nur auf den ersten Blick verschiedene Berufe gehabt. Dass sie im Grund dasselbe Ziel im Leben verfolgt hätten – trotz ihrer Verschiedenheit. Denn obwohl dein Vater ein Künstler gewesen war, der mit seiner Kunst den Staat kritisiert hatte, und meiner ein Staatsdiener, hatten sie ihn doch schließlich beide gebraucht für ihr Leben, nur von verschiedenen Seiten her.

An vielen Beispielen wird deutlich wie die Veränderungen der Lebensbedingungen dazu führen, das sich die Ich-Erzählerin von sich selbst zu entfremden glaubt. Bleibt am Ende noch Platz für die Liebe?

Wem und warum ich dieses Buch empfehle:

Obwohl mir zu Beginn die Art, wie die Ich-Erzählerin ihren Partner „anhimmelt“ gegen den Strich ging, war ich ziemlich schnell von ihren Beschreibungen fasziniert. Ich konnte mich gut in das grundlegende Lebensgefühl der Protagonistin – wenn ich auch rund 15 Jahre älter bin – hineinversetzen. Das Buch lässt sich schnell durchlesen und birgt in vielen kleinen Sätzen auch Anlässe zum Innehalten und Nachdenken. Es beschreibt u.a. anschaulich, welche Gefahren in den alltäglichen Routinen lauern. S. 96 „(Plötzlich der Eindruck, ich könnte durch die Müdigkeit, die Hektik jener Jahre vielleicht einfach vergessen haben, dich zu verlassen.)“

Ich denke, die Trilogie lässt sich auch getrennt sehr gut lesen, da jeweils ein anderer Aspekt der Ehe/Familiegeschichte im Vordergrund steht.

Mein Jahr in den Bergen

Paolo Cognetti
Mein Jahr in den Bergen
Originaltitel: Il ragazzo selvatico
Übersetzt von Barbara Sauser
145 Seiten
Verlag Penguin
EUR 13,00 [DE]
Link zum Verlag

Zum Inhalt:

Im Untertitel heißt es „Vom Abenteuer eines einfachen Lebens“. In dem dünnen Büchlein schildert Paolo Cognetti wie er sich aus der Hektik der Stadt in die Abgeschiedenheit der Berge begibt und seine Zeit ganz und gar dem einfachen Leben widmet.

In der Hütte überkamen mich wieder die kindlichen Ängste. Wenn der Mond unterging, war die Finsternis total, und es war so still, dass mir die Ohren, die kein Geräusch verpassen wollten, wehtaten. Ich konnte das Wasser im Brunnen hören. Den Wind, der die Lärchenwipfel schüttelte. Die Laute eines Rehs im Wald, die ganz anders sind, als man sich vorstellt, die nichts mit Blöken zu tun haben – es klingt eher wie heisere Hustenstöße, wie das Gebell eines stimmlosen Hundes. Sie waren das Wild und ich das Raubtier, aber in meinem Bett kehrte die Finsternis die Rollen um.

Paolo Cognetti beobachtet die Natur um ihn herum mit ihren Witterungsbedingungen. So kann es auch Anfang Mai noch schneien und der Frühling wird kurz unter einer weißen Decke wieder begraben. Die Menschen, denen er begegnet, sind wortkarg, Freundschaften bleiben bis zum Abschied etwas unbeholfen.

Wem und warum ich dieses Buch empfehle:

Thema des Buches sind die Schilderungen einer Selbsterfahrung in den Bergen. Diese sind weder besonders tiefgründig noch abenteuerlich. Wer daran Freude hat in den Alltag eines Lebens in der Abgeschiedenheit der Berge einzutauchen – ohne gleich selbst dorthin loszuziehen – dem wird das Buch gefallen. Ich empfand es als sehr beruhigend in diese Einsamkeit – wenn auch nur lesend – einzutauchen.

Lichtungen

Iris Wolff
Lichtungen
256 Seiten
12. Juli 2025
Verlag Klett Cotta
EUR 13,00 [DE]
Link zum Verlag

Zum Inhalt:

Lichtungen habe ich im letzten Jahr gemeinsam in unserer Lesegruppe gelesen. Der Roman ist nun gerade als Taschenbuch herausgekommen. Erzählt wird die Geschichte von Lev und Kato, die zusammen in Rumänien Anfang der 1980er Jahre aufwachsen. Eher zufällig entwickelt sich zwischen den beiden sehr unterschiedlichen Kindern eine enge Freundschaft. Während Lev in Rumänien bleibt, entflieht Kato der sozialistischen Enge und zieht als Künstlerin durch verschiedene Orte. Jahre später treffen sie sich in der Schweiz wieder

In allem gab es diese Dunkelstellen, wo die Erfahrung aufhörte und die Erinnerung anfing. Etwas blieb, und etwas ging verloren, manches schon im Augenblick des Geschehens, und wie sehr man sich bemühte, es tauchte nie wieder auf. Erinnerungen waren über die Zeit verstreut wie Lichtungen. Man begegnete ihnen nur zufällig und wusste nie, was man darin fand. 

Wem und warum ich dieses Buch empfehle:

In dem Roman geht es viel um Sprache, um Empfindungen und um einen Weg, die eigenen Bedürfnisse mit den Verhältnissen in Einklang zu bringen. Es eignet sich für Lesende, die Freude an den poetischen Schilderungen des Lebens zweier Menschen auf dem Weg des Erwachsenenwerdens haben.

Schwebende Lasten

Annett Gröschner
Schwebende Lasten
Verlag CH. Beck
282 Seiten, 26 Euro)
Erscheinungsdatum: 20. März 2025
EUR 26,00 [DE]
Link zum Verlag

Zum Inhalt

Dies ist die Geschichte von Hanna Kraus, die erst als Blumenbinderin und später als Kranfahrerin in Magdeburg für sich und ihre Familie das Geld verdiente. In ihrem Leben hat sie den Kaiser, Revolutionen, Kriege und auch die Wiedervereinigung erlebt, hat geheiratet, hat Kinder bekommen und zwei auch verloren. Sie hat eine Freundin gefunden und auch die Freundschaft ging in die Brüche. Mit ihrem Mann verbindet sie nach seiner Rückkehr aus dem Krieg nur noch wenig.

Je besser sie den Kran beherrschte, desto mehr Gefallen fand sie an ihrer Position. Bald nannte sie ihren Kran Mimi. Sie redete mit Mimi, wie sie mit den Blumen geredet hatte. Und nicht selten dachte sie, dass sie mehr mit ihrem Arbeitsgerät redete als mit Karl.

Ihre Leidenschaft galt bis zu ihrem Ende den Blumen.

Wem und warum ich dieses Buch empfehle:

Im Mittelpunkt des Romans steht eine Frau, die auf ein langes Arbeits- und Familienleben zurückblicken kann, das vom Wechsel der Zeiten mal gestreift, mal erschüttert und auch erfreut wird. Ich fand die Verknüpfung des Lebensweges von Hanna Kraus mit den geschichtlichen Ereignissen und der Historie Magdeburgs sehr gelungen und das Buch daher empfehlenswert für alle, die sich mal den historischen Betrachtungen von einer anderen Seite nähern möchten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert