Unsereins – von Inger-Maria Mahlke

Ein Roman zu Zeiten der Buddenbrocks

Den Roman von Inger-Maria Mahlke „Unsereins“ hatte ich mir als Hörbuch besorgt und mich auf gemütliche Stunden beim Eintauchen in eine Familiengeschichte um die Jahrhundertwende – der Roman beginnt 1890 – gefreut. Die Vielzahl der Personen, häufiges Wechseln der Szenerie und eine bildreiche Sprache faszinierten mich zu Anfang, ließen mich aber nicht so richtig in die Geschichte reinkommen. Daher griff ich dann doch zum gedruckten Text. Mit dem Personenregister zu Anfang des Buches ließen sich die einzelnen Stränge deutlich leichter verfolgen.

Cover Unsereins

In „Unsereins“ erzählt Mahlke die Geschichte der (jüdischen) Familie Lindhorst im kleinsten Staat des Deutschen Kaiserreichs, Lübeck. Während das Familienoberhaupt von Ambitionen einer politischen Karriere getrieben wird, kann Marie, die Ehefrau und Mutter, sich seelisch zerrissen in ihrer Rolle nicht selbst finden und die acht Kinder schlagen ganz unterschiedliche Wege ein.

Wie von oben zoomt sich der Roman in eine Zeit, in der alles von Umbrüchen gezeichnet zu sein scheint, aber doch die alten Muster und Regeln prägend den Alltag bestimmen. Weitere Personen, wie das Dienstpersonal, die Familie Schilling, der Ratsdiener Isenhagen und der Lohndiener Charly Helms tauchen mit ihren Gedanken und Handlungen auf. So entsteht ein buntes Geflecht zeitgenössischer Lebensgeschichten.


Perspektive von oben

„Wäre dies ein Film und wir die Zuschauer, die erste Einstellung wäre mit einer Drohne aus der Perspektive eines Regentropfens gedreht: als würden wir durch seine vom Luftwiderstand abgeflachte Seite auf die Erde herabblicken. Vom Wind in einen spitzen Fallwinkel gedrückt, sähen wir erst nur das matschige Grünbraun Ostelbiens und einen Streifen wolkengrauer Ostsee. Bis sich ein Fluss in den Kameraausschnitt schiebt, die Trave, und außerdem ein zweiter, kleinerer, die Wakenitz, und dort, wo beide ineinander münden würden, wenn alles geradlinig verliefe, erhebt sich ein Hügel, den sie beide umfließen. Auf dem Hügel befindet sich ein Fleck, noch immer überwiegend backsteinrot, mittelalterfarben, und aus dieser Entfernung allenfalls fingernagelgroß: der kleinste Staat des Deutschen Reiches, seine älteste Republik.“

Unsereins, S. 11

Die Buddenbrocks von Thomas Mann haben Mahlke inspiriert, aber Mahlke nähert sich quasi von oben aus einer anderen Perspektive. Neben der Oberschicht ist es ihr wichtig auch das Personal in den Blick zu nehmen. Da ist Georg, der sich einsam fühlt und in dasselbe Gymnasium wie die Lindhorst-Söhne und Tomy (Thomas Mann, „der Pfau“ genannt) geht. Da ist das Dienstmädchen Ida, das sich heimlich für einen Stenografie-Kurs anmeldet und von einer Stelle als Sekretärin träumt. Da ist Charly Helms, der eine Scheinehe führt, um mit seiner Neigung für Männer nicht aufzufallen. Da ist Isenhagen, der Mathilde Helms liebt und doch seine Beobachtungen über den Lebenswandel von Charly Helms weitergibt und damit seine Liebe zerstört.

Der Roman endet 1906 als die Lindhorst-Kinder (ohne Cord, Robert und Werner) sich noch einmal auf den Weg in ihr früheres Zuhause machen.

„Die fünf Lindhorsts zwischen den Dächern haben angefangen zu summen. Alle gleichzeitig. Schumann. Die Kinderlieder. Aber vielleicht ist dies nicht das Ende, sondern nur der Anfang“

Unserseins, S. 493

So ist abzuwarten, ob es eine Fortsetzung des Romans geben wird.

Das Buch hat mich mit seinen sprachgewaltigen Schilderungen in den Bann gezogen. Dennoch blieben die Personen merkwürdig distanziert. Es wollte sich kein Mitfühlen in die Schicksale der Protagonist:innen einstellen. Dies ist sicherlich der Vielzahl der geschilderten Lebenswege geschuldet, aber auch einer Sprache, die Distanz zu den Personen hält.

Weitere Hinweise

Ein Interview mit der Autorin findet sich unter:

https://www.ndr.de/kultur/buch/buchdesmonats/NDR-Buch-des-Monats-November-Unsereins-Inger-Maria-Mahlke,unsereins100.html

Die Autorin ist auf Lesereise auch in der Nähe von Bremen unterwegs, so am 25.05.2024 in Haus Kreienhoop in Nartum. Siehe auch: https://bremerfreizeit.de/wandern-auf-dem-nordpfad-auf-zu-kempowskis-idylle/

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