LiteraTour – literarische Reise nach Montana
Die literarische Reise führt mich diesmal in den Westen der USA nach Montana. Ich stelle hier vier Romane vor, in denen die landschaftliche Prägung eine wesentliche Rolle spielt.
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Montana wurde am 8. November 1889 als 41. Bundesstaat in die United States of America aufgenommen.
Spitzname: Treasure State („Staat der Schätze“).
Staatsmotto: Oro y Plata. Gold und Silber
Die Hauptstadt ist Helena.
Die größte Stadt mit etwas mehr als 100.000 Einwohnern ist Billings.
Es gibt sieben Indianerreservate in Montana, die sich auf zwölf Stämme verteilen.
Von TUBS, CC BY-SA 3.0
Mountain-State
Montana zählt zu den Mountain-States, zu denen alle Bundesstaaten gehören, durch die sich die Gebirgskette der Rocky Mountains zieht.
Die Rocky Mountains galten lange als schwer passierbar. Erst durch die Lewis-und-Clark Expedition (1804 – 1806) wurde das Land hinter dem Mississippi bis zum westlichen Ozean interessanter. Nach dem Ende des Bürgerkriegs nahm die Zuwanderung aus Europa weiter zu, so dass immer mehr Siedlertrecks in ein vorher den indigenen Stämmen überlassenes Gebiet eindrangen. Obwohl den Prärierindianern bei der Schlacht am Little Bighorn 1878 ein bedeutender Sieg gelang, folgten darauf verheerende Vergeltungsangriffe. Letzten Endes wurden die Native Americans vollständig in Reservate gezwungen.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts zogen Goldfunde Menschen in die Mountains. Es entstanden viele kleine Orte, die heute – fast 100 Jahre nachdem die Quellen versiegten – als Geisterstädte übrig geblieben sind1.
Die Weite Montanas
Montana zeichnet sich durch eine geringe Bevölkerungsdichte aus. Weite Teile des Landes werden landwirtschaftlich für Viehzucht und Ackerbau genutzt. In seiner Amtszeit stellte Jimmy Carter zwischen 1977 und 1980 37,8 Million Hektar Bundesland in den Rocky Mountains – Land, das zuvor für die landwirtschaftliche Nutzung zur Verfügung stand – für Nationalparks und geschützte Reservate bereit. Dies hatte auch Auswirkungen auf das umliegende Ackerland und die Viehzucht. Umweltvorschriften zum Schutz gefährdeter Arten reduzierten die verfügbare Fläche und die Ressourcen. Die Maßnahmen stießen daher auf Widerstände bei den Farmern.2 (siehe unten Joe Wilkins). Traditionell finden in Montana die Republikaner großen Zuspruch.
Meine Vorstellung von Montana verbinde ich mit dem Film „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“, der mit Szenen vom Fliegenfischen (siehe auch Callan Wink, Big Sky Country) sowie spektakulären Landschaftsaufnahmen beeindruckt. In allen vier vorgestellten Büchern spielen Landschaftsbeschreibungen eine bedeutende Rolle und lassen Lesende in diese überwältigende Natur eintauchen.
Bücher, die in Montana spielen
Callan Wink Big Sky Country Originaltitel: August Suhrkamp Verlag, 2021 379 S. | Bildungsroman Coming of Age Der Roman beginnt um 2001. Der Nine-Eleven-Schock sitzt den Menschen in den Knochen. August, Sohn eines Farmers in Michigan, zieht mit seiner Mutter nach Livingston als deren Ehe zerbricht. In den Weiten von Montana hofft er ein neues Zuhause finden. Mehr zum Inhalt | |
Thomas Savage Die Gewalt der Hunde Original: The power of the dog btb Verlag 2021 326 (350) S. | Psychodrama Zwei ungleiche Brüder betreiben gemeinsam eine Ranch in Montana. Der 1967 zum ersten Mal veröffentlichte Roman spiegelt eine Landschaft wider, die die rauen, männlichen Ideale der 1920er Jahre versinnbildlicht. Mehr zum Inhalt | |
Joe Wilkins Der Stein fällt, wenn ich sterbe Original: Fall Back Down When I Die Lenos Verlag, Basel 2023 373 S. | Familienroman Der vierundzwanzigjährige Wendell ist in seine alte Heimat nach Montana zurückgekehrt, als eines Tages Rowdy, der siebenjährige Sohn seiner Cousine, die ins Gefängnis musste, auftaucht. Nur langsam gewinnt Wendell das Vertrauen des autistisch veranlagten Jungen. Gemeinsam mit seiner Lehrerin Gillian und deren Tochter Maddy kümmern sie sich um den Jungen ohne zu ahnen, dass das Schicksal der beiden Familien unheilvoll miteinander verwoben ist. Der Existenzkampf der Farmer, die Widersprüche zwischen ökologischen und wirtschaftlichen Anforderungen, die Prägung durch ein raues Klima und Einsamkeit werden in dem Roman sehr eindrücklich mit dem Schicksal der Protagonisten verknüpft. Der Autor selbst ist auf einer Ranch in Montana aufgewachsen. Eine spannende, differenzierte, aus verschiedenen Blickwinkeln erzählte Geschichte. | |
James Lee Burke Keine Ruhe in Montana Original: Swan Peak Pendragon Verlag, 2021 576 S. | Krimi Diesmal ermittelt Dave Robicheaux in der Wildnis von Montana, wohin er, sein Freund Clete Purcel und seine Frau sich zurückgezogen haben. Statt sich in aller Ruhe dem Angeln hinzuwenden, werden Robicheaux und Purcel schon bald in einen Fall hineingezogen als ganz in der Nähe ein ermordetes Pärchen aufgefunden wird. Es war der erste Robicheaux-Roman, den ich gelesen habe. Die Atmosphäre in Montana, die Beschreibung der Landschaft und der historischen Hintergründe fand ich sehr aufschlussreich, mit den beiden Hauptprotagonisten konnte ich mich jedoch nicht so recht anfreunden. James Lee Burke wohnt selbst auf einer Ranch in Montana. |
Big Sky Country
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Callan Wink
Big Sky Country
Originaltitel: August
Übersetzt: Hannes Meyer
Suhrkamp Verlag, 2021
379 S.
Suhrkamp.de
In „Big Sky Country“ erzählt Callan Wink die Geschichte von August, für den das Leben in einer anderen Umgebung (Montana) zur Herausforderung und Chance wird. August lebt mit seinen Eltern auf einer Farm in Michigan. Er hilft seinem Vater beim Melken, vermeidet Prügeleien und hält sich an der Seite seines Freundes Bob aus Streitigkeiten heraus. Eines Tages verletzt Bob seinen Gegner Brandt so schwer, dass dieser fast stirbt. Bob kommt in eine Einrichtung, August plagen Schuldgefühle nicht eingeschritten zu sein.
Nach der Trennung der Eltern wird eines Abends Augusts Mutter vom Film „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ animiert nach Montana zu ziehen. Sie bewirbt sich um eine Stelle als Bibliothekarin in Bozeman. Begeistert berichtet sie August aus Montana:
«Die Berge», sagte sie. «Es ist ganz unwirklich. Die Luft riecht ganz anders, irgendwie nach Salbei oder vielleicht Kiefern oder Wacholder…“
Mutter und Sohn ziehen in ein Haus im Örtchen Livingston, in der Nähe von Bozeman. Neben den beiden wohnt Julie mit ihrem Mann und einem kleinen Kind. Julie und Augusts Mutter freunden sich an. August streift durch die Gegend, nimmt kleine Jobs an und spielt Football. Die Ferien verbringt er auf der Farm seines Vaters. Eines Tages steht Julie vor seiner Haustür und trifft ihn alleine an. Zwischen den beiden entsteht eine kurze, heftige Affäre.
Als August in der Abschlussklasse der Highschool ist, wirbt die Army bei den Absolventen darum, sich für Afghanistan zu verpflichten. Im Gegenzug könnten sie sich dadurch ihr Studium finanzieren. Einige Tage später jedoch erfahren August und seine Freunde, dass ein Schulkamerad, Ramsay, in die Luft gejagt wurde.
Nach Ramsay schien irgendwie alles verzweifelt. Es war, als hätten August und alle anderen Jungs, die er kannte, sich irgendetwas eingefangen. Einer von ihnen würde nie wiederkommen, und dieser erste Feindkontakt, dieser erste Geschmack von Sterblichkeit, hatte alle verstört zurückgelassen.
Im Alkoholrausch – „für Ramsay“ – fallen die Freunde von August über die ebenfalls betrunkene June her. August zieht sich im letzten Moment zurück. Er nimmt Abstand von den Freunden und findet einen Job auf einer weit entfernten Ranch. Mit seinem Vater telefoniert er nur noch selten. Sie haben sich wenig zu sagen. Er stellt für sich fest:
Die Tatsache, dass er im Mittleren Westen geboren war, verlor für August langsam ihre Bedeutung. Irgendwann wird der eigene Herkunftsort zu etwas Abstraktem.
Dem Autor gelingt es mit der Beschreibung eines eher unspektakulären, naturverbundenen Lebens eines Heranwachsenden auch die Stimmung nach 9/11, die Prägung des Lebens durch die Landschaft und die Menschen einzufangen. Mir hat das Buch gut gefallen, auch wenn ich manche überschwängliche Kritik nicht so ganz teilen kann.
Die Gewalt der Hunde
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Thomas Savage
Die Gewalt der Hunde
Original: The power of the dog
Übersetzt: Thomas Gunkel
Mit einem Nachwort von Annie Proulx
btb Verlag 2021
326 (350) S.
Presse.penguinrandomhouse.de
Ungleiche Brüder
Der Roman von Thomas Savage spielt in den 1920er Jahren. Die Brüder Phil und George könnten nicht unterschiedlicher sein: Phil der Harte und Intellektuelle, George, der Empfindsame und etwas Einfältige. Gemeinsam haben sie die größte Ranch im Tal von ihren Eltern übernommen. Trotz aller Unterschiedlichkeit führen sie ein scheinbar einträchtiges, harmonisches Miteinander. Das nächste Postamt ist 25 km entfernt, außer den Brüdern leben nur die Ranchhelfer und Cowboys auf dem Gelände. Eines Tages kommt Phil dazu als einige der Männer junge Elstern mit Dynamitkapseln in die Luft jagen. Nach dem Lärm befragt bleibt Phil gegenüber George die ehrliche Antwort schuldig.
Sie standen sich schon immer sehr nahe, ihre Leben hatten sich gegenseitig ergänzt, einer hager, der andere stämmig, einer geschickt, der andere schwerfällig- sie waren wie ein einziger Zwilling, und es ärgerte Phil, wenn er nicht ehrlich sein konnte, dann war er ratlos und wütend.
Gemeinsam schlafen die Brüder im alten „Kinderzimmer“, behalten aber eine gewisse Scham voreinander. Phil wäscht sich an einem geheimen Platz im Fluss, George geht angezogen ins Bad, schließt sich ein und kommt angezogen wieder heraus.
Noch nie hatten sich die Brüder voreinander nackt gezeigt. Bevor sie sich abends auszogen, schalteten sie das Licht aus…
Rose
Johnny Gordon macht als Arzt sein Praktikum an einer Klinik in Chicago. Er gilt als „von Natur aus freundlich“. Empfindsamkeit ist aber in der Stadt nicht erwünscht und so wird er als Arzt in ein kleines Kaff, nach Beech versetzt. Dies sei der geeignete Ort für einen noch nicht so selbstsicheren Anfänger wie ihn. Gemeinsam mit seiner Frau Rose und seinem Sohn Peter lebt und praktiziert er eine Weile. Peter, sein Sohn kommt nach dem Vater. Lieber bastelt er Papierblumen als sich mit anderen Jungs zu raufen. Johnny muss erfahren, wie sich die Farmer über ihn und seine Familie lustig machen. Er versinkt im Alkohol und nimmt sich schließlich das Leben.
Nach dem Tod des Arztes eröffnet Rose ein Gasthaus und Peter hilft ihr dabei. Eines Tages bekommt George mit, wie Phil sich über Peter lustig macht. Er tröstet Rose und zwischen den beiden beginnt eine zarte Beziehung. Als George heimlich heiratet und seine Frau Rose und etwas später auch Peter mit auf die Farm bringt, verändert sich das Verhältnis zwischen den Brüdern. Die Atmosphäre vergiftet sich zusehends und es stellt sich heraus, dass Peter auch ein feiner Beobachter ist, der nicht alles so hinnimmt wie es scheint.
Schlussbemerkung
Mir hat das Buch, das ich aufgrund des Titels und der Inhaltsbeschreibung wohl kaum gelesen hätte, außerordentlich gut gefallen. Es kommt in den Beschreibungen der Personen die ganze Einsamkeit und Tragik ihres Lebens zum Vorschein. Obwohl sich Phil als ein unangenehmer Zeitgenosse entpuppt, wird auch deutlich wie sehr er an der Unmöglichkeit verzweifelt, seine sexuellen Neigungen ausleben zu können.