LiteraTour – literarische Reise nach Maine
Die literarische Reise führt mich diesmal ganz in den Nordosten der USA nach Maine. Ich stelle drei Romane und eine Kurzgeschichte vor, in denen die landschaftliche Prägung eine wesentliche Rolle spielt.

Maine wurde als 23. Bundesstaat in die United States of America am 15. März 1820 aufgenommen und gehört zur Region Neuengland.
Der Spitzname Maines ist The Pine Tree State („Kiefernstaat“).
Die Hauptstadt ist Augusta.
Von TUBS – CC BY-SA 3.0
Der Bundesstaat Maine hat rund 1,4 Mio. Einwohner. Die Bevölkerungsdichte ist niedrig. Die am weitesten verbreitete Sprache ist Englisch, gefolgt von Französisch. Trotz seiner langgestreckten malerischen Küste ist Maine nach dem Niedergang der Schifffahrts- und Textilindustrie ein Bundesstaat mit einem relativ niedrigen Pro-Kopf-Einkommen. Eine Haupteinnahmequelle stellt der Tourismus dar. Bekannt ist Maine für seine Hummer.
Zentrale Aspekte
In den ausgewählten Romanen spielen die Abgeschiedenheit von Maine und die Verbundenheit mit den Native Americans eine zentrale Rolle.
Früher lebten auf dem Territorium des heutigen Maines vier Stämme, die unter dem Namen Wabanaki (siehe „Die Frauen von Maine“) oder “People of the Dawnland” zusammengefasst werden. Jahrhunderte lang fand deren Kultur wenig Beachtung. Inzwischen gibt es Ansätze, die Arroganz den „Natives“ gegenüber abzulegen und mit mehr Respekt auf die Vergangenheit zu blicken. So gibt es in Maine ein Unterstützungs-Projekt, das sich darum bemüht, die Selbstbestimmtheit der Wabanaki durch Bildung und Wahrheitsfindung zu unterstützen. Dazu gehört auch ein Museum, in dem mit Respekt auf Traditionen und Riten die Geschichte der Wabanaki aufgearbeitet wird. Es geht darum kulturelle Werte zu bewahren und an die Nachkommen weiterzugeben. Eine wichtige Rolle spielt in der Aufarbeitung auch der „Geist“ (Schatten der Vergangenheit).
Bücher, die in Maine spielen
Richard Russo Diese Gottverdammten Träume DuMont Verlag, 2017 752 S. | Familienroman Miles Roby arbeitet seit über 20 Jahren im örtlichen Diner, in Empire Falls. Es ist die Geschichte eines Mannes, der nicht geworden ist, der er sein wollte. Im Mittelpunkt steht das Leben in einer Kleinstadt in Maine mit all ihren Absonderlichkeiten. Mehr zum Inhalt | |
Elisabeth Strout Am Meer Luchterhand Literaturverlag, 2024 288 S. | Gesellschaftsroman: Lockdown am Meer Während des Lockdowns wird Lucy Barton von ihrem Ex-Mann William überredet mit ihm Zuflucht in einem alten Häuschen am Strand in Maine zu suchen. Mehr zum Inhalt | |
J. Courtney Sullivan Die Frauen von Maine Klett-Cotta 2024 496 S. | Generationenroman In dem Roman wird das Schicksal von Frauen, deren Leben an der Küste von Maine miteinander verwoben sind über mehrere Generationen verfolgt. Sullivan geht zurück bis zu den Abenaki, deren heilige Orte von den Einwandernden missachtet wurden. Interessant fand ich den Aspekt, wie Sullivan die Geschichte der Protagonistinnen mit der Vergangenheit, dem Leben der Native Americans, verknüpft. Bei der Vielzahl der zusätzlich verarbeiteten Probleme wie Drogensucht und Alkoholismus fiel es mir allerdings zeitweise schwer bis zum – dann doch wieder aufschlussreichen – Ende durchzuhalten. | |
Stephen King Auf der Slide Inn Road In: Ihr wollt es dunkler Originaltitel: You like it darker Heyne Verlag, 2024 735 S. | Horrorgeschichte(n): Auf der Slide Inn Road Stephen King wurde in Portland/Maine geboren und lebt mit seiner Familie in Bangor/Maine. Er ist bekannt für seine Horrorgeschichten, die zum Teil in Maine u.a. in der fiktiven Stadt Derry spielen. In „Auf der Slide Inn Road“ macht sich Frank Brown mit Sohn, Tochter, Ehefrau und seinem Vater auf den Weg, um die todkranke Schwester des Vaters in Derry zu besuchen. Sie fahren mit Großvaters altem Buick. Eine Abkürzung (Tipp vom Großvater), die sich als Schotterpiste entpuppt, führt zu einer gefährlichen Entdeckung. Ich bin kein Fan von Horrorgeschichten, aber die Erzählung ist flott, mit Humor und einer gewissen Ironie erzählt, was mir gefallen hat. |
Diese Gottverdammten Träume

Richard Russo
Diese Gottverdammten Träume
Originaltitel: Empire Falls
Übersetzt: Monika Köpfer
DuMont Verlag, 2017
752 S.
dumonat-buchverlag.de
Empire Falls, eine Kleinstadt in Maine, hat ihre Blütezeit, in der die Holzfäller- und Textilindustrie florierten, hinter sich. Die einen sind schon vor langer Zeit weg gegangen, andere bleiben, so wie Miles Toby. Seit über 20 Jahren arbeitet er in dem Diner „Empire Grill“.
Der Empire Grill war ein langer, niedriger Bau mit einer durchgehenden Fensterreihe an der Frontseite, und seit dem Abriss des benachbarten Gebäudes, eines Rexall-Drugstores, konnte man vom Lunchtresen aus die gesamte Empire Avenue hinunterblicken bis zu der alten Textilfabrik und der angrenzenden Hemdenmanufaktur. Zwar waren die Fabriken seit fast zwei Jahrzehnten stillgelegt, doch noch immer zogen die beiden dunklen, bedrohlich wirkenden Schatten am Fuß der sanft ansteigenden Avenue die Blicke auf sich.
Der Familie Whiting gehörten einst die bedeutenden Industrieunternehmen. Nach der Schließung ist eigentlich nur noch der „Empire Grill“ übrig geblieben. Francine Whiting, die alte Patriarchin, hält Miles mit dem Versprechen hin, ihm eines Tages den Diner zu überlassen. Warum sie dies über all die Jahre tut, bleibt Miles schleierhaft.
Mrs. Whiting war eine praktisch denkende und skrupellose Geschäftsfrau, die jedes Mal den idealen Zeitpunkt ausgemacht hatte, als es um den Verkauf der drei Whiting-Fabriken ging, und die noch nie zuvor die geringste Langmut geübt hatte, wenn einer ihrer Betriebe unprofitabel war. Und doch schien sie seit mehr als einem Jahrzehnt zufrieden damit, den Empire Grill langsam seinem endgültigen Ruin entgegentreten zu lassen.
Hintergrund ist ein kompliziertes Verhältnis der beiden Familien Toby und Whiting, das sich allerdings erst zum Schluss auflöst.
Wünsche und Sehnsüchte
Die Geschichte über das Schicksal der Menschen in Empire Falls plätschert so vor sich hin. Beschreibungen alltäglicher Situationen wechseln sich ab mit Rückblenden in die Vergangenheit. Ohne rechten Plan, was er eigentlich möchte, schlägt Miles sich durchs Leben. Er lässt sich leicht zu der einen oder anderen eigentlich ungewollten Aktion hinreißen und holt seinen Vater irgendwo aus der Pampa ab. Umschwärmt wird Miles von Cindy Whiting deren Gefühle er jedoch nicht erwidern kann. Seine Ex-Frau Janine vergnügt sich mit einem Fitnesstypen, genannt „Silver Fox“, seine Tochter Tick kämpft sich durch den Schulalltag und fühlt sich zwischen Vater und Mutter hin und her gerissen.
Das einzig Gute an der Trennung ihrer Eltern sei, hatte Tick ihm (Miles) gegenüber erklärt, dass sie jetzt nicht mehr in die Kirche müsse, seit ihre Mutter den katholischen Glauben durch Aerobic ersetzt habe.
Miles und Ticks gemeinsamer Sehnsuchtsort ist Martha’s Vineyard.
Dass der Roman über 700 Seiten ein Lesevergnügen bleibt, liegt an den wunderbar detailreichen Beschreibungen von Russo. Immer wieder schimmern die unerfüllten Wünsche und Sehnsüchte der Hauptpersonen durch.
Ich habe das Buch schon vor einigen Jahren gelesen und war erstaunt, an wie viel ich mich bei der Durchsicht für die Einordnung des Romans zum Bundesstaat Maine noch erinnern konnte. Ein Roman, der ewig so weiter gehen könnte.
Am Meer

Elizabeth Strout
Am Meer
Originaltitel: Lucy by the Sea
Übersetzung: Sabine Roth
Luchterhand Literaturverlag, 2024
288 S.
penguin.de
Das Buch „Am Meer“ ist der vierte Band aus der Reihe um Lucy Barton. Es kann aber auch ohne Kenntnis der vorhergehenden Bände gelesen werden. Lucy Barton und ihr Ex-Mann William gehen auf die siebzig zu, ein Alter in dem zwangsläufig Gedanken das eigene Leben Revue passieren lassen.
Alltägliche Beobachtungen – Zufluchtsort Maine
Das Häuschen in Crosby, einer fiktiven Kleinstadt in Maine, erscheint wie ein Zufluchtsort, von dem aus sich Abstand zum Geschehen drumherum gewinnen lässt. Aus der Entfernung, quasi auf Metaebene, blicken Lucy und Walter auf die Folgen von Corona, aber auch auf ein Familienleben mit all seinen Höhen und Tiefen und sie erkennen die zentrale Bedeutung von Vertrautheit und Liebe.
Mit ihren Beobachtungen vermag Elizabeth Strout alltägliche Situationen so detailliert wiederzugeben, dass sie „wie auf den Punkt“ formulierte Begebenheiten erscheinen, deren tiefere Bedeutung sich erst im Laufe des Lesens erschließt.
Ich saß da und dachte an die Mädchen und William und David – der so ganz und gar fort war – und daran, dass es uns alle eines Tages nicht mehr geben würde. Es bedrückte mich in dem Moment nicht, es war einfach eine Tatsache, mit der ich lebte.
Und dann ging mir durch den Kopf:
Im Prinzip sind wir alle im Lockdown, durchgehend. Wir wissen es nur nicht.
Aber wir behelfen uns, so gut wir können. Fast alle versuchen wir nur, uns irgendwie durchzuschlagen.
Es gelingt Elisabeth Strout trotz der zeitweisen Schwere ihrer Gedanken, diese mit einer gewissen Leichtigkeit zu verbinden, die am Ende tröstlich ist.
Mir persönlich haben zwar die vorangegangenen Bücher besser gefallen, auch weil es mir nicht ganz leicht gefallen ist, mich noch einmal mit der Zeit des Lockdowns zu beschäftigen. Allerdings ließen sich gerade vor diesem Hintergrund auch viele essentielle Themen ansprechen.