Illinois

LiteraTour – literarische Reise nach Illinois

Die literarische Reise führt mich diesmal nach Illinois, wo ich insbesondere rund um Chicago auf eine Fülle interessanter Romane stoße.

Illinois wurde als 21. Bundesstaat in die United States of America am 3. Dezember 1818 aufgenommen.
Der Beiname von Illinois ist „Land of Lincoln“, weil dieser in Illinois geboren und begraben wurde.
Die größte Stadt in Illinois ist Chicago (drittgrößte Stadt in den USA), die Hauptstadt ist Springfield.

Von TUBS -CC BY-SA 3.0

Zentral für Illinois

Illinois ist zum überwiegenden Teil von einer weiten flachen Landschaft mit landwirtschaftlicher Nutzung geprägt. Im Nordosten des Staates streckt sich der Michigan See, an dem neben kleinen Badeorten auch die größte Stadt Chicago liegt.

Im Zusammenhang mit Illinois tauchen zwei Namen immer wieder auf: Chicago, der Name der Stadt, die mit ca. 2.700.000 Einwohnern die bevölkerungsreichste im Bundesstaat und die drittgrößte der USA ist, und
Abraham Lincoln, der 16. US-Präsident, dessen Name – auch bei uns (Thema in jedem Englischunterricht) – untrennbar mit dem Ende der Sklaverei verbunden ist. Lincoln stammt aus einfachen Verhältnissen. Einen Großteil seiner Bildung – bis hin zum Studium der Rechtswissenschaften – hat er sich selbst angeeignet. Auf erstes politisches Engagement folgte eine Phase, in der sich Lincoln auf seine Arbeit und Familie konzentrierte. Das angespannte Verhältnis zwischen den Nord- und Südstaaten veranlasste ihn zum Wiedereintritt in die Politik. Es gelang ihm zwar nicht den Bürgerkrieg (siehe Georgia) zu verhindern, aber er bemühte sich bei den Friedensverhandlungen um Bedingungen, die für beide Lager akzeptabel waren. Dies gelang ihm nicht zuletzt dank seines großen Redegeschicks.
Bis heute ist Lincoln ein Präsident, der überall in den Vereinigten Staaten präsent ist.

Chicago – Magnet für Ein- und Zuwandernde

Chicago entwickelte sich schon früh zu einem Verkehrsknotenpunkt. 1871 brannte die Stadt fast vollständig ab, wodurch beim Wiederaufbau die Stadt mit einer systematischen Anordnung der Straßen geplant werden konnte. Die verkehrsgünstigen Bedingungen schafften geeignete Bedingungen für die Gründung der größten Fleischverarbeitung der USA. Ende 1865 eröffnete die Union Stock Yard Transit Company. Die Nachfrage nach Arbeitskräften stieg beständig, so dass es um 1900 viele deutsche, irische, skandinavische und osteuropäische Einwandernde nach Chicago zog. Die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie waren hart. Nicht selten verletzten sich Menschen bei der schweren Arbeit unter erbärmlichen Zuständen. In den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts stammte gut 80 Prozent des US-Fleisches aus Chicago. Upton Sinclair (s.u.) recherchierte für seinen Enthüllungsroman in den Fleischfabriken.

In den 1940er Jahren nahm der Zuzug nach Chicago noch einmal kräftig zu, wobei sich in einzelnen Stadtteilen bestimmte Ethnien konzentrierten. So weist beispielsweise der nördliche Teil der Southwest Side eine hohe Konzentration von Hispanics und der östlichen Teil eine hohe Konzentration von Schwarzen auf. Um noch mehr Menschen unterzubringen, wurden im östlichen Teil in den 1940ern bis in die 50er Jahre sogenannte Kitchenetten gebaut. Dies sind Mini-Apartments bestehend aus einem Küchenbereich und ein bis zwei kleinen Zimmern. Sanitäreinrichtungen standen mehreren Parteien gemeinsam zur Verfügung.

Chicago ist ein besonderer Anziehungspunkte für Menschen mit hispanischen Wurzeln. Mit einem Anteil von 28,9 % (2010) ist der Anteil der spanisch/lateinamerikanisch stämmigen Bevölkerung sehr hoch. Sandra Cisneros (s.u.) hat mexikanische Vorfahren und erzählt in ihrem Roman vom Leben im Latinoviertel. Sie wird als erste (weibliche) Chicana-Autorin bezeichnet, die es in die öffentliche Aufmerksamkeit geschafft hat. Chicano ist eine Bezeichnung für in den Vereinigten Staaten lebende Mexikaner und ihre Nachfahren (mexikanische Amerikaner).

Trotz Bemühungen in den letzten Jahren die Segregation aufzulösen, ist dies nicht gelungen. Dies zeigen Stadtviertel wie Englewood, das noch immer zu den ärmsten Bezirken Chicagos zählt. 1 Heute ist Chicago eine moderne Metropole mit begehrten Immobilien, so dass in zentrumsnahen Stadtteilen die Gentrifizierung vorangeschritten ist (s.u. Wellness).

Bücher mit Handlungsort Chicago/Illinois

Upton Sinclair
Der Dschungel
Originaltitel: The jungle
Unionsverlag 2014
416 S.
Enthüllungsroman – Auf den Schlachthöfen in Chicago
Um 1900 kommt Juris mit seiner Verlobten und deren Familie aus Litauen nach Amerika und landet in Chicago. Voller Hoffnung stürzt er sich in die Arbeit auf den Schlachthöfen. Schon bald kann sich die Familie ein kleines Häuschen am Rande der Stadt leisten. Die Arbeitsbedingungen sind jedoch hart und die finanzielle Belastung hoch. Mehr zum Inhalt
Kristina Gehrmann
Der Dschungel
Carlsen Verlag 2018
384 S.
Graphic Novel – Nach dem Roman von Upton Sinclair
Kristina Gehrmann zeichnet die Geschichte der litauischen Auswandererfamilie im Chicago der frühen 1900er Jahre in Schwarz-Weiß-Bildern nach. Durch das Spiel von Licht und Schatten gelingt es ihr die Lebens- und Arbeitssituation in und um die Fleischfabriken Chicagos plastisch darzustellen. Die Personen sind in Anlehnung an Mangafiguren mit großen runden Augen und vereinfachten Gesichtszügen skizziert, was für mich allerdings nicht zum Zeitkolorit passt. Eine jüngere Leserschaft mag dies anders empfinden.
Gwendolyn Brooks
Maud Martha
Originaltitel: Maud Martha
Manesse Verlag 2023
153 S.
Klassiker afroamerikanischer Literatur
Als eine sensationelle Klassiker-Entdeckung wird der Roman von Gwendolyn Brooks um Maud Martha, die in den 1940er Jahren in einem schwarzen Viertel in Chicago aufwächst, bezeichnet. In kurzen Sequenzen streift die Autorin in diesem autofiktionalen Roman Stationen von Kindheit, Jugend, Ehe und Muttersein.
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Sandra Cisneros
Das Haus in der Mango Street
Originaltitel: The house of Mango Street
Kampaverlag 2015
160 Seiten
Bildungsroman – Latino-Viertel in Chicago
Der Roman von Sandra Cisneros spielt Mitte der 1960er Jahre in Chicago, in einem Stadtteil, der durch einen hohen Anteil an Menschen mit puertorikanischen oder mexikanischen Wurzeln und materieller Armut gekennzeichnet ist. Die 11jährige Esperanza Cordero beschreibt ihr Leben in der fiktiven „Mango Street“.
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Nathan Hill
Wellness
Original: Wellness
Piper Verlag
729 S.
Gesellschaftsroman zwischen den 1990ern und 2010ern
Jack und Elizabeth lernen sich in Chicago kennen, verlieben sich und bekommen einen Sohn. Bislang haben sie eher spartanisch gewohnt, jetzt beschließen sie sich eine Eigentumswohnung zu kaufen. Dies ist Anlass über ihre durch Kindheit, familiäre Anforderungen und gesellschaftliche Strömungen geprägte Beziehung neu nachzudenken. Mehr zum Inhalt
Gerhard Schild
Abraham Lincoln
Brill | Schöningh
272 S.
Sachbuch über das Leben und Wirken von A. Lincoln
Georg Schild zeichnet in seinem Buch den Lebensweg Abraham Lincolns (1809 – 1865) nach. Im Vordergrund stehen die Hintergründe, die zum Bürgerkrieg führten. Dabei geht es im Wesentlichen um Lincolns politisches Engagement, von der Spaltung der Nation wegen der Skalvenfrage bis hin zum erneuten Zusammenschluss der Nord- und Südstaaten und dem Einleiten des Endes der Skalverei.
Ausgewählte Bücher

Der Dschungel

Upton Sinclair
Der Dschungel
Originaltitel: The jungle
Aus dem Engl. von Ingeborg Gronke
Unionsverlag, 2014
416 Seiten
unionsverlag

Der Roman von Upton Sinclair wird als Enthüllungsroman bezeichnet, der die Zustände in den Schlachthöfen in Chicago detailliert offen legt.

Ankommen und Hoffnung in Chicago

Der Roman beginnt mit einer Schilderung der Hochzeitsfeier von Jurgis Rudkus und Ona zu dem nach litauischem Brauch alle Menschen aus der Umgebung eingeladen sind. Es ist ein rauschendes Fest, doch schon zum Ende hin kündigt sich ein Unheil an. Unter den Gästen gibt es einige, die sich nur mit Speisen und Getränken abfüllen, aber keinen Cent in den Sammelbehälter für das Brautpaar einwerfen. Diese Eingangssequenz offenbart bereits deutlich, wie sich für die Auswandernden in Chicago das Leben und die eigenen Werte und Gebräuche ändern.

Scheitern im Land der großen Hoffnung

In dem Roman von Upton Sinclair wird die Geschichte einer Familie erzählt, die sich voller Hoffnung und Bereitschaft durch Arbeit eine Zukunft in den USA aufbaut am Ende doch scheitern muss. Jurgis fühlt sich jung und stark und stürzt sich mit Elan in die Arbeit. Nachlässigkeiten hinsichtlich der Arbeitsbedingungen führen immer wieder zu Verletzungen und so trifft es auch Jurgis und seine Familie. Ein Schicksalsschlag folgt dem nächsten. Mich hat die zunehmende Verzweiflung der einzelnen Personen bedrückt und mitleiden lassen.

Nachwirkungen

Der Roman von Sinclair sorgte bei seinem Erscheinen für eine große Aufmerksamkeit, insbesondere was die hygienischen Bedingungen in den Schlachthöfen betraf. In den Vordergrund der Kritik rückten die hygienischen Zustände, während die Arbeitsbedingungen sich nur langsam verbesserten. Obwohl sich inzwischen vieles geändert hat, bieten schlechte Arbeitsbedingungen und der Umgang mit den Tieren in den Fleischfabriken weiterhin häufig auch bei uns noch Anlass für eine kritische Berichterstattung über untragbare Zustände. Und häufig sind es die Menschen, denen weniger Beachtung geschenkt wird, als den Tieren.

Maud Martha

Gwendolyn Brooks
Maud Martha
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Andrea Ott
mit einem Nachwort von Daniel Schreiber
Manesse Verlag 2023
153 Seiten
Manesse Verlag

Gwendolyn Brooks wurde 1950 für ihre Lyrik mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet. Sie war damals die erste afroamerikanische Schriftstellerin, die diese Auszeichnung erhalten hat. 1953 erschien ihr einziger Roman Maud Martha, der stark autobiografische Züge vermuten lässt. Der Roman besteht aus einer Aneinanderreihung von kurzen Sequenzen, die Ausschnitte aus dem Leben von Maud Martha zeigen.

Maud Martha über sich

Im ersten Kapitel wird Maud Martha vorgestellt mit allem was sie gerne mag. Dazu gehört auch der Löwenzahn, der ihren Hinterhof verziert.

Sie mochte diese nüchterne Schönheit, mehr noch aber ihre Alltäglichkeit, denn darin glaubte sie ein Abbild ihrer selbst zu erkennen, und es war tröstlich, dass etwas, was gewöhnlich war, gleichzeitig eine Blume sein konnte.

Die kleinen Erzählsequenzen sind häufig von lyrischen Elementen durchzogen.

Ein Zuhause

Als wieder einmal der Vater bei der Hypothekenbank ist, um eine Kreditverlängerung zu erbitten, befürchtet die Familie, das kleine Zuhause zu verlieren. Gespannt warten Maud Martha, ihre Mutter und ihre Schwester Helen auf die Rückkehr des Vaters. Der mögliche Verlust des Hauses schwebt immer wieder wie ein Damoklesschwert über der Familie.

Mit ihrem Mann Paul träumt Maud Martha von einer eigenen Wohnung. Die erste eigene Wohnung ist eine Kitchenette, zwei kleine Zimmer mit Toilette auf dem Gang.

Na ja, vielleicht entwickelte sich das hier ja wirklich zu ihrer Traumwohnung. Es war klein, aber man könnte hier Wunder vollbringen.

Doch der Vermieter erlaubt keine Veränderungen und so muss sich die junge Familie mit den Gegebenheiten arrangieren.

Die Welt drumherum

An einem Abend beschließen Paul und Maud Martha ins Kino zu gehen. Erstaunt stellen sie fest, dass sie die einzigen Farbigen sind.

Als der Film vorbei war und das Licht sie als das entlarvte, was sie waren, standen die beiden Schwarzen zwischen all den Pelzen und edlen Kleidungsstücken und dezenten Parfüms auf und sahen sich angespannt um. Sie hofften, keinen grausamen Blicken zu begegnen.

Ein anderes Mal erhält Paul eine Einladung vom Foxy Cats Club, zu dem er seine Frau mitnehmen muss. Nachdem Paul zwei mal pflichtbewusst mit ihr getanzt hat, bleibt Maud Martha ein bisschen abseits alleine sitzen.

Sie saß da und versuchte, die Minderwertigkeit, die sie nicht spürte, nicht auszustrahlen.

Während Paul mit einer Frau mit heller Hautfarbe und langem Haar tanzt, beschleicht Maud Martha das Gefühl, wegen ihrer schwarzen Hautfarbe weniger wert zu sein.

»… Aber es ist meine Hautfarbe, die ihn verrückt macht. Ich versuche, die Augen davor zu verschließen, aber es hilft nichts. Wie ich innendrin bin, wie ich wirklich bin, das findet er schon in Ordnung. Aber er schaut ständig auf meine Farbe, und die ist wie eine Mauer. Da muss er drüberspringen, um an das zu kommen, was ich für ihn habe. Er muss hoch springen, um es zu sehen. Und er hat die Springerei furchtbar satt.«

Zu Anfang musste ich mich ein wenig an den nüchternen, sachlichen, wenngleich bildreichen Schreibstil der Autorin gewöhnen. Auf rund 150 Seiten bringt sie ein ganzes Leben unter, das von Diskriminierung, Selbstzweifeln, Enttäuschungen und Hoffnungen geprägt ist. Maud Martha klagt nicht an. Scharf beobachtet hält sie Situationen aus dem Alltag fest, die für sich sprechen. Dies macht den Roman auch heute noch unbedingt lesenswert.

Das Haus in der Mango Street

Sandra Cisneros
Das Haus in der Mango Street
Originaltitel: The House on Mango Street
Übersetzt von Gerd Burger
Kampaverlag 2015
160 Seiten
Kampaverlag

Latinoviertel in Chicago

Esperanza, Tochter mexikanischer Einwanderer, wohnt mit ihrer Familie in der Mango Street im Latinoviertel von Chicago, den»barrios«.
Die Geschichte von Esperanza wird in einzelnen Episoden erzählt. Sie stehen für Probleme, Konflikte, glückliche Momente, die das Leben der Bewohnenden der Straße ausmachen. Der fragmentarische Stil passt zu dem jungen Mädchen, die viele Fragen, aber noch keine Antworten gefunden hat.

Esperanza ist von dem Wunsch erfüllt, das Viertel, das geprägt ist von Schmutz, Armut und Enttäuschungen später zu verlassen. Sie berichtet von den Menschen, die sie begleiten, insbesondere von den Frauen, die in ihrer Rolle gefangen sind. Dem immer wiederkehrenden Kreislauf möchte sie entkommen.

Biografische Prägung

Sandra Cisineros wurde 1954 in Chicago als Tochter mexikanisch-stämmiger Eltern geboren. Häufige Umzüge prägten ihre Kindheit und wie die Familie von Esperanza besaß auch die Familie von Sandra Cisneros eine Zeitlang ein kleines Häuschen in Chicago in einer Latino-Wohngegend, die den Hintergrund für den Roman lieferte.
Ich habe das Buch schon vor einigen Jahren in der spanischen Originalausgabe gehört, was mich sehr beeindruckt hat (relativ leicht verständlich und sehr authentisch vorgelesen).

Wellness

Nathan Hill
Wellness
Originaltitel: Wellness
Übersetzung: Aus dem amerikanischen Englisch von Dirk van Gunsteren und Stephan Kleiner
Piper Verlag
729 Seiten
2024

Sie beobachten sich gegenseitig vis-a-vis in ihren Wohnungen. Anfang der 1990er Jahre in Chicago werden Jack und Elizabeth ein Paar, angezogen von einem scheinbar geheimnisvollen Leben, das sie durch die einander gegenüberliegenden Fenster wahrnehmen. Gut 20 Jahre später, inzwischen verheiratet, einen Sohn, beschließen sie sich eine Eigentumswohnung im nördlich von Chicago gelegenen Vorort Park Shore zu kaufen. Das Gebäude, eine längst geschlossene Werft, The Shipworks, wird kernsaniert. Ihre Vierzimmerwohnung ist derzeit noch

„buchstäblich Luft, ein Rechteck am Himmel, im fünften Stock – doch dieses Stück Himmel war genau definiert und niedergelegt in den Kreditanträgen, mit denen sie so viele zähe Stunden verbracht haben.“

In dieser Gegend ist diese Wohnung die einzige Möglichkeit für die beiden, sich je eine eigene Wohnung leisten zu können. Im Büro des Maklers (Benjamin) hängen großformatige Bilder, wie The Shipworks mal aussehen sollte.

„Die meisten zeigten quirliges, urbanes Leben in der Abenddämmerung mit Radfahrern und Leuten, die Hunde ausführten. Hinter ihnen glühte das Gebäude orangerot und einladend. Es war für eine gemischte Nutzung vorgesehen, und der Entwurf folgte gewissen neuen urbanistischen Grundsätzen: es sollte umweltverträglich sein und über eine große Vielfalt von Wohnungen verfügen. Es gab Wohn- und Büroräume im Erdgeschoss, große Penthouses und dazwischen ein paar Dutzend Wohnungen verschiedener Größe, manche sehr groß, andere bescheidener und wieder andere waren Sozialwohnungen, für die es irgendeinen Bundeszuschuss gab. Eine Wohnung in the The Shipworks war für Jack und Elizabeth die einzige Chance, sich jemals ein Leben im Park Shore, Illinois, leisten zu können, einem Ort, wo die anderen Gebäude meist auf ausgedienten Rasenflächen standen, riesige Herrenhäuser, Ende des 19. Jahrhunderts als Sommerfrische der Reichen erbaut und inzwischen siebenstellige Summen wert.“

Als es um die detailliertere Planung geht, werden die unterschiedlichen Vorstellungen von Jack und Elizabeth deutlich. Sie möchte getrennte Schlafzimmer, eine offene Küche, Platz für kreative Gestaltung. Er möchte eigentlich alles lieber wie gewohnt belassen, obwohl die Realitäten (häufig schläft er von ihr getrennt) längst andere sind.

Eine Bürgerinitiative zur Rettung des Viertels stört den Fortgang der Fertigstellung von The Shipworks. Benjamin meint das Risiko im Blick zu haben, das sich aus den Protesten ergibt. Er erklärt Jack den Hintergrund.

«Im Jahr 1956 verabschiedete die Bundesregierung ein Gesetz zum Ausbau des nationalen Fernstraßensystems. Und die örtlichen Behörden, die damals praktisch ausschließlich mit Weißen besetzt waren, beschlossen diese Schnellstraßen durch Viertel zu bauen, in denen hauptsächlich Schwarze wohnten, und damit waren diese Viertel natürlich kaputt.«

«Ich verstehe.»

«Etwa zehn Jahre später verabschiedeten die Bundesstaaten Bürgerrechtsgesetze, die es den Anwohnern erlaubten Bauentwickler zu verklagen, wenn ihre Bauvorhaben die Integrität der Nachbarschaft beeinträchtigten. Das waren gut gemeinte Gesetze, würde ich sagen, aber dann zeigte sich, dass ihre Anwendung eine Menge Zeit, Aufwand, Koordination und Geld erfordert, und so kommt es, dass die Einzigen, die sich diese Gesetze zunutze machen, perverserweise reiche weiße Leute sind, die ihre Immobilienwerte schützen wollen. Und genau das passiert gerade in Park Shore. Man hat Klagen eingereicht und einstweilige Verfügungen erwirkt.«

Auf der Suche für die Ursachen ihrer angeschlagenen Beziehung, werden Jack und Elizabeth auch immer wieder mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert. Jack ist im ländlichen Kansas aufgewachsen, mit einer schwierigen Beziehung zu seiner Mutter, die eigentlich kein zweites Kind mehr haben wollte. Elizabeth kommt aus einer reichen Unternehmerfamilie. Ihr Urgroßvater hatte sich mit nichts als einem Stück Land hochgearbeitet, ihr Großvater ist mit der Ausstattung des KuKuxKlan reich geworden und ihr Vater hat dieses schwere Erbe gewandelt.

Nathan Hill gelingt es den Lesenden mitzunehmen in eine Chicagoer Kunst- und Gesundheitsszene. Es entstehen in einer Bevölkerungsschicht, die auf absurde Weise auf Gesundheit und perfekte Kindererziehung achtet, wachsende Bedürfnisse. In der Stadtentwicklung machen sich exorbitante Immobilienpreise breit. Der Autor zeigt, wie sich Ansprüche – eigene und vermeintlich von außen vorgegebene – auflösen lassen. Der Roman lässt sich locker lesen. Wellness pur.

  1. Siehe auch interessanter Artikel über Chicago’s Racial Segregation unter:
    https://southsideweekly.com/mapping-chicagos-racial-segregation/ ↩︎